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Anfängerklausur mit Lösung im Strafrecht: „Wir müssen reden…“

Hier gibt es eine Anfängerklausur im Strafrecht zum selber lösen und überprüfen! Es empfiehlt sich, zunächst eine Lösungsskizze anzufertigen und diese anschließend auszuformulieren. Setzt euch dabei ein Zeitfenster von 2 Stunden, so könnt ihr die Prüfungssituation simulieren.
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„Wir müssen reden…“ – Anfängerklausur im Strafrecht

Sachverhalt

Die Eheleute M und F leben getrennt, wobei M sich noch erhofft, dass seine Frau zu ihm zurückkommt und die Ehe wieder auflebt. Deshalb sucht er eine Gelegenheit, um mit seiner Frau über die Ehe und Trennung zu reden. Aus den Ehejahren kennt er ihre Gewohnheiten, zu denen es unter anderem gehört, mit dem in der Garage abgestellten Fahrrad zur Arbeit zu fahren. So geht er eines Tages in die große Doppelgarage, stellt das Fahrrad seiner Frau ein Stück nach hinten, sodass sie weiter als gewohnt in die Garage hineingehen muss, um an ihr Rad zu gelangen, und versteckt sich hinter dem Auto des Nachbarn, nachdem er die Tür von innen geschlossen hat. Während er auf die Ankunft seiner Frau wartet, raucht er einige Zigaretten.

Als seine Frau kurz vor Schichtbeginn in die Garage geht, stellt sie zum einen fest, dass das Rad nicht mehr dort steht, wo sie selbst es zuletzt abgestellt hat und zum anderen nimmt sie einen starken Tabakgeruch wahr, den sie von ihrem Mann kennt. Da sie aber weder ihn noch dessen Auto sieht, vermutet sie jedenfalls, dass er sich nicht in der Garage aufhält. Als sie zu ihrem Fahrrad geht, zeigt sich der M, schließt wiederum die Garagentür von innen und stellt seine Frau zur Rede. Er will unter anderem wissen, mit wem sie am Vortag telefoniert habe, worauf sie entgegnet: „Das geht dich nichts an“. Der M kann dann nicht mehr an sich halten, packt die F, legt seinen Arm von hinten um ihren Oberkörper, zieht sie an sich heran und greift nach einem ca. 30 cm langen Fleischspieß, den er in einem Regal entdeckt hat. Mit den Worten: „Ich bringe Dich jetzt um“ drückt er seiner Frau den Spieß sodann mittig an den Hals. Sie erwidert: „Dann bring mich doch um.“, woraufhin er den Spieß tatsächlich in ihren Hals stößt. Nach kurzem Kampfgeschehen bricht F zusammen und stellt sich tot. In der Annahme, dass F entweder bereits gestorben sei oder aber bald ihren schweren Verletzungen erliegen würde, verlässt M nach einiger Zeit die Garage. F konnte jedoch auf sich aufmerksam machen und durch notärztliche und stationäre Versorgung gerettet werden.

Lösung

A. Versuchter Totschlag gem. §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs.1 StGB (+)

I. Vorprüfung
II Tatentschluss
III. Unmittelbares Ansetzen
IV. Rechtswidrigkeit und Schuld
V. Rücktritt vom Versuch
1. Kein Fehlschlag
2. Beendeter oder unbeendeter Versuch
3. Erforderliches Rücktrittsverhalten
VI. Ergebnis

B. Versuchter Mord gem. § 211 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB (-)

I. Vorprüfung
II. Tatentschluss
1. Mordmerkmale der ersten Gruppe
2. Mordmerkmale der zweiten Gruppe
3. Mordmerkmale der dritten Gruppe
III. Ergebnis

C. Körperverletzung gem. § 223 Abs. 1 StGB (+)

I. Tatbestand
1. Taterfolg und Tathandlug
2. Kausalität
3. Vorsatz
II. Rechtswidrigkeit und Schuld
III. Ergebnis

D. Gefährliche Körperverletzung gem. §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, 3, 5 StGB (+)

I. Tatbestand
1. Grundtatbestand
2. Qualifikationsmerkmale
a) Gefährliches Werkzeug gem. § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 StGB
b) Hinterlistiger Überfall gem. § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB
c) Lebensgefährliche Behandlung gem. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB
3. Vorsatz
II. Rechtswidrigkeit und Schuld
III. Ergebnis

E. Konkurrenzen, Endergebnis


A. Versuchter Totschlag gem. §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs.1 StGB

Indem M der F den Fleischspieß in den Hals gedrückt hat, könnte er sich wegen versuchten Totschlags gem. §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben.

I. Vorprüfung

Der Tatbestand des § 212 Abs. 1 StGB dürfte nicht vollendet sein. Die F ist nicht verstorben, es ist keine Vollendung eingetreten. Der Versuch müsste strafbar sein. Bei Verbrechen ist der Versuch gem. §§ 12 Abs. 1, 23 Abs. 1 StGB strafbar. Totschlag ist ein Verbrechen und der versuchte Totschlag mithin strafbar.

II. Tatentschluss

M müsste Tatentschluss gefasst haben. Tatentschluss liegt vor, wenn der Täter den Vorsatz für die Tat gefasst hat und eventuell weitere subjektive Tatbestandsmerkmale in seiner Person verwirklicht. Zunächst müsste M also den Vorsatz gehabt haben seine Frau zu töten. Vorsatz ist das Wissen und Wollen der Tatbestandsverwirklichung. Spätestens in dem Moment, als M den Spieß in den Hals der F drückte, war ihm klar, dass dies zu lebensbedrohlichen Verletzungen führen könnte. Gleichsam nahm er ihren Tod zumindest billigend in Kauf, sodass er mindestens mit dolus eventualis handelte und den entsprechenden Tatentschluss gefasst hat.


Zur Erinnerung:
Es gibt drei Formen des Vorsatzes:

  • Dolus directus 1. Grades, der mit Absicht gleichzusetzen ist = Täterwill den Taterfolg besonders ausgeprägt.
  • Dolus directus 2. Grades, der sicheres Wissen meint = Täter weiß von den Folgen seines Handelns oder sieht sie sicher voraus
  • Dolus eventualis, der insbesondere von der bewussten Fahrlässigkeit abzugrenzen ist. Denkt der Täter es werde schon alles gut gehen, liegt in der Regel ein Fall bewusster Fahrlässigkeit vor. Nimmt der Täter den Taterfolg in Kauf, ist ein Eventualvorsatz zu bejahen.

Liegt jedenfalls Vorsatz vor, so sollte in der Klausurlösung keine kostbare Zeit damit verschwendet werden die Vorsatzformen voneinander abzugrenzen, wenngleich der Unterschied bekannt sein muss.


III. Unmittelbares Ansetzen

M müsste zum Versuch unmittelbar angesetzt haben. Wann das der Fall ist, ist umstritten: Nach der Zwischenaktstheorie setzt der Täter unmittelbar an, wenn nach seiner Vorstellung zwischen seinem Verhalten und der Tatbestandsverwirklichung kein wesentlicher Zwischenschritt mehr liegt. Hier ist nach der Vorstellung des M kein Zwischenschritt mehr zwischen dem Stoßen des Fleischspießes in den Hals der F und ihrem Tod erforderlich. M hat nach dieser Theorie unmittelbar angesetzt. Nach der Gefährdungstheorie hat der Täter unmittelbar angesetzt, wenn das geschützte Rechtsgut aus seiner Sicht bereits konkret gefährdet ist. Nach der Wahrnehmung des M, ist das Leben seiner Frau bereits konkret gefährdet, sodass er auch nach dieser Theorie zum Versuch angesetzt hat.
Nach der Jetzt-geht’s-los-Formel beginnt der Versuch dann, wenn der Täter aus seiner Sicht die Schwelle zum Jetzt-geht’s-los überschritten hat. Diese Schwelle hat M hier spätestens in dem Moment übertreten, als er der F den Fleischspieß in den Hals gestoßen hat, und mithin auch nach dieser Theorie zum Versuch angesetzt.
Nach der wohl herrschenden kombinierten Auffassung liegt der Versuchsbeginn dann vor, wenn der Täter subjektiv die Schwelle zum Jetzt-geht’s-los überschritten hat und objektiv derart mit der Tatausführung begonnen hat, dass das geschützte Rechtsgut bereits konkret gefährdet ist. Wie bereits festgestellt, liegen die einzelnen Elemente im vorliegenden Fall vor.
Da alle Theorien hier zum selben Ergebnis führen, ist ein Streitentscheid
entbehrlich. M hat also unmittelbar zum Tötungsversuch angesetzt.

  • Bearbeitervermerk: Ein Meinungsstreit muss nur dann mit Argumenten versehen und entschieden werden, wenn die Meinungen nicht zum selben Ergebnis kommen. Kommen beispielsweise zwei von drei Auffassungen zum selben Ergebnis, so muss eine Argumentation nur für oder gegen die dritte Meinung erfolgen. Es ist also nicht erforderlich immer zu jeder Auffassung alle Argumente anzuführen. Dennoch ist es wichtig sie zu kennen, um sie je nach Situation strukturieren zu können.

IV. Rechtswidrigkeit und Schuld

Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe sind nicht ersichtlich.

V. Rücktritt vom Versuch

1. Kein Fehlschlag
Der Versuch dürfte nicht bloß fehlgeschlagen sein. Ein Fehlschlag liegt vor, wenn der Täter zum Zeitpunkt des Rücktritts meint, den Erfolg in keiner Weise mehr herbeiführen zu können. M geht hier davon aus, dass ihm im Zweifel noch weitere Mittel zur Verfügung stehen, um den Tod der F herbeizuführen. Der Versuch ist also nicht fehlgeschlagen.

  • Bearbeitervermerk: Ob der Fehlschlag des Versuchs zu prüfen ist, ist umstritten. Da es sich jedoch um eine Aufbaufrage handelt, wird der Streit in der Falllösung nicht ausgeführt. Der Aufbau der Falllösung wird nie erklärt. Der Fehlschlag des Versuchs findet im Gesetz keine Erwähnung, weshalb gut vertretbar ist, ihn nicht zu prüfen. Andererseits hält der BGH an dieser Lehre vom Fehlschlag des Versuchs fest, sodass es ebenso gut vertretbar ist, diesen ersten Punkt zu prüfen.

2. Beendeter oder unbeendeter Versuch
Das erforderliche Rücktrittsverhalten ist abhängig von dem Umstand, ob der Versuch aus Täterperspektive beendet oder unbeendet ist. Wann ein Versuch als beendet eingeordnet wird, ist umstritten.
Nach der Lehre vom Tatplankriterium kommt es auf den Plan des Täters an. Hier hat M nicht mehr geplant, der F den Spieß in den Hals zu stechen, sodass nach dieser Auffassung der Versuch bereits beendet wäre.
Für die Lehre vom Rücktrittshorizont ist die Vorstellung des Täters von der Möglichkeit des Erfolgseintritts im Zeitpunkt der Rücktrittshandlung maßgeblich. M ist sich im Klaren darüber, dass die Stichverletzung bereits den Tod der F herbeiführen könnte. Er geht mithin von einem beendeten Versuch aus. Beide Auffassungen kommen zu dem Ergebnis, dass ein beendeter Versuch vorliegt, sodass ein Streitentscheid entbehrlich ist.

3. Erforderliches Rücktrittsverhalten
M müsste ein taugliches Rücktrittsverhalten an den Tag gelegt haben. Für den Rücktritt vom beendeten Versuch muss der Täter nicht nur von seinem Opfer ablassen, sondern es ist gem. § 24 Abs. 1 S. 1 StGB erforderlich, dass der Täter den drohenden tatbestandsmäßigen Erfolg durch Gegenmaßnahmen verhindert. Derartiges hat M nicht unternommen, sodass er kein ausreichendes Rücktrittsverhalten gezeigt hat.

VI. Ergebnis

M ist nicht strafbefreiend vom Versuch zurückgetreten. Er hat sich wegen versuchten Totschlags gem. §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs.1 StGB strafbar gemacht.

B. Versuchter Mord gem. §§ 211 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB

M könnte sich auch wegen versuchten Mordes gem. §§ 211 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, soweit er ein Mordmerkmal verwirklicht hat.

I. Vorprüfung

Der Tatbestand des § 211 Abs. 1 StGB dürfte nicht vollendet, also der Tatbestand nicht erfüllt, sein. Die F ist nicht verstorben, es ist keine Vollendung eingetreten. Der Versuch müsste strafbar sein. Bei Verbrechen ist der Versuch gem. §§ 12 Abs. 1, 23 Abs. 1 StGB strafbar. Mord ist ein Verbrechen und der versuchte Mord mithin strafbar.

II. Tatentschluss

M müsste Tatentschluss gefasst haben. Der Vorsatz bzgl. des Todes eines anderen Menschen ist, wie oben bereits festgestellt, in Form des Dolus eventualis gegeben. Beim Mord muss sich der Tatentschluss zusätzlich auf die einschlägigen objektiven Mordmerkmale beziehen. Zusätzlich könnten weitere subjektive Merkmale gegeben sein.

1. Mordmerkmale der ersten Gruppe
Mordmerkmale der ersten, täterbezogenen, Gruppe kommen vorliegend nicht in Betracht.

2. Mordmerkmale der zweiten Gruppe: Heimtücke
Zu prüfen ist aber das Mordmerkmal der Heimtücke aus der zweiten, tatbezogenen, Gruppe. Heimtückisch handelt derjenige, der die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers in feindlicher Willensrichtung bewusst zur Tötung ausnutzt.
Arglos ist, wer sich im Zeitpunkt des Beginns der Tat keines tätlichen Angriffs auf seine körperliche Unversehrtheit oder sein Leben versieht. Fraglich ist also, ob F arglos war. Problematisch ist für diese Beurteilung hier der Zeitpunkt der Tat, also der Beginn des unmittelbaren Ansetzens zum Versuch. Insbesondere da M im Verlauf des Streitgesprächs die Tötung ankündigte, kann F nicht mehr arglos gewesen sein, als M ihr den Fleischspieß in den Hals drückte. Somit würde das Merkmal der Heimtücke im Zeitpunkt der Versuchshandlung mangels Arglosigkeit der F ausscheiden.

Für einzelne atypische Ausnahmefälle wird der Beurteilungszeitpunkt allerdings modifiziert. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier vor, dergestalt dass das Opfer zunächst in einen Hinterhalt gelockt wurde, um eine günstige Situation zu schaffen, in der F überrascht
und M in der Folge deutlich überlegen war. Als F die Garage betrat, war sie zunächst irritiert, weil sie einen starken Tabakgeruch wahrnahm und das Fahrrad woanders stand, als sie es erwartete. Sie schüttelte ihre Zweifel dann jedoch ab und betrat die Garage. Als sich sodann ihr Gatte zu erkennen gab, war sie wiederum nicht arglos. Möglicherweise wurde sie es aber wieder, als M nur ein Gespräch mit ihr führen wollte. Unabhängig davon, ob man F nun für arglos hält oder nicht, so kann aber kumulativ nicht sicher davon ausgegangen werden, dass M da schon den Entschluss gefasst hat, seine Frau umzubringen. Vielmehr wollte er zunächst mit ihr über die Ehe reden und eine Versöhnung erwirken. Im Ergebnis scheidet das Mordmerkmal der Heimtücke entweder deshalb aus, weil F nicht arglos war, oder aber, weil M im entsprechenden Zeitpunkt noch keinen Tötungsentschluss gefasst hat.

3. Mordmerkmale der dritten Gruppe
Auch ein Tatentschluss bzgl. Mordmerkmalen aus der dritten Gruppe ist nicht ersichtlich.

III. Ergebnis

In Ermangelung des Tatentschlusses bzgl. etwaiger Mordmerkmale hat sich der M nicht wegen versuchten Mordes gem. §§ 211 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.

C. Körperverletzung gem. § 223 Abs. 1 StGB

M könnte sich auch wegen Körperverletzung gem. § 223 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem er seiner Frau den Fleischspieß in den Hals drückte.

I. Tatbestand

1. Taterfolg und Tathandlung
Dann müsste es zu einer körperlichen Misshandlung und/ oder Gesundheitsschädigung gekommen sein.
Eine körperliche Misshandlung ist jede üble, unangemessene Behandlung, die das körperliche Wohlbefinden mehr als nur unerheblich beeinträchtigt. Durch die Halsverletzung mit dem Spieß entsteht bei F eine blutende Wunde, die starke Schmerzen hervorruft. Darin liegt eine körperliche Misshandlung, die das Wohlbefinden der F erheblich beeinträchtigt.

Eine Gesundheitsschädigung ist jedes Hervorrufen oder Steigern eines pathologischen Zustandes körperlicher oder seelischer Art. Durch die Stichverletzung erleidet F eine Wunde, die zu einem vom Normalzustand negativ abweichenden, krankhaften Zustand führt. Demgemäß liegt auch eine Gesundheitsschädigung vor.
Taterfolg und Tathandlung sind gegeben.

2. Kausalität
Tathandlung und Taterfolg müssten in einem kausalen Verhältnis zueinander stehen. Kausal ist nach der conditio-sine-qua-non-Formel jedes Verhalten, das nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele. Das Stoßen des Fleischspießes in den Hals der F kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass die körperliche Misshandlung und Gesundheitsschädigung in Form der Halsverletzung entfiele. Taterfolg und Tathandlung des M stehen also in einem kausalen Verhältnis zueinander.

  • Bearbeitervermerk: Es gibt neben der Bedingungstheorie weitere Kausalitätstheorien, auf die im Sinne einer effizienten Klausurlösung jedoch nur zurückgegriffen werden sollte, wenn die Prüfung der Kausalität Probleme birgt. Auf die Prüfung einer objektiven Zurechnung kann an dieser Stelle verzichtet werden, da kein Zweifel daran besteht, dass die Tat dem M objektiv zugerechnet werden kann.

3. Vorsatz
M müsste vorsätzlich, also mit Wissen und Wollen der objektiven Tatbestandsmerkmale gehandelt haben. Entgegenstehende Angaben sind dem Sachverhalt nicht zu entnehmen, zumal M die Verletzung im Zusammenhang mit der Tötung angekündigt hat. Der subjektive Tatbestand ist insofern ebenfalls gegeben.

II. Rechtswidrigkeit und Schuld

M müsste auch rechtswidrig und schuldhaft gehandelt haben. Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe sind vorliegend nicht ersichtlich. M handelte rechtswidrig und schuldhaft.

III. Ergebnis

M hat sich wegen einer Körperverletzung gem. § 223 Abs. 1 StGB strafbar gemacht.

  • Aufbauhinweis: Die einfache und die gefährliche Körperverletzung können auch zusammen geprüft werden. Oft empfiehlt es sich aber aus Gründen der Übersichtlichkeit die Prüfungen aufeinander aufzubauen, auch wenn es in der Klausurlösung mitunter etwas mehr Zeit kostet.

D. Gefährliche Körperverletzung gem. §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, 3, 5 StGB

M könnte sich durch dieselbe Handlung sogar wegen vollendeter gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, 3, 5 StGB strafbar gemacht haben, wenn er ein Qualifikationsmerkmal des § 224 Abs. 1 StGB verwirklicht hat.

I. Tatbestand

1. Grundtatbestand
Zunächst müsste M den Grundtatbestand des § 223 Abs. 1 StGB erfüllt haben. Wie oben bereits festgestellt, ist das der Fall.

2. Qualifikationsmerkmale
Ferner müsste M ein Qualifikationsmerkmal des § 224 Abs. 1 StGB verwirklicht haben.

a) Gefährliches Werkzeug gem. § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 StGB
M könnte in Form des Fleischspießes ein gefährliches Werkzeug bei seiner Tat verwendet haben. Ein gefährliches Werkzeug ist ein körperlicher, beweglicher Gegenstand, der nach seiner objektiven Beschaffenheit und der konkreten Art seiner Verwendung im Einzelfallgeeignet ist erhebliche Verletzungen zuzufügen. Einen spitzen langen Fleischspieß in den Hals einer Person zu stechen, ist geeignet erhebliche, mitunter lebensbedrohliche, Verletzungen hervorzurufen. Der verwendete Spieß ist zudem beweglich und infolgedessen ein gefährliches Werkzeug im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB.
M hat das Qualifikationsmerkmal nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 StGB erfüllt.

b) Hinterlistiger Überfall gem. § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB
M könnte gegen seine Frau einen hinterlistigen Überfall gem. § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB ausgeübt haben. Ein Überfall ist jeder plötzliche und unerwartete Angriff auf einen Ahnungslosen. Hinterlistig handelt ein Täter, der seine wahre Absicht planmäßig berechnend verdeckt, um gerade dadurch die Abwehr seines Opfers zu erschweren. Mangels einer plötzlichen, überraschenden Angriffssituation, ist hier nicht von einem Überfall auszugehen, unabhängig davon, ob man das Verhalten des M als listenreich bezeichnen würde. Das Qualifikationsmerkmal des hinterlistigen Überfalls hat M nicht verwirklicht.

  • Bearbeitervermerk: Es ist dringend darauf zu achten, dass Heimtücke im Rahmen der Mordmerkmale nicht dasselbe ist wie Hinterlist im Rahmen der gefährlichen Körperverletzung. Da aber eine gewisse Ähnlichkeit der Merkmale nicht von der Hand zu weisen ist, müssen sie unbedingt im Einklang miteinander gelöst werden, ohne aufeinander zu verweisen.

c) Lebensgefährdende Behandlung gem. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB
Die Verwendung des Fleischspießes könnte auch eine das Leben gefährdende Behandlung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB sein.
Eine solche liegt vor, wenn die Verletzungshandlung den konkreten Umständen nach objektiv geeignet war, das Leben des Opfers in Gefahr zu bringen. Umstritten ist dabei, ob es sich um eine konkrete Gefahr handeln muss oder ob auch eine nur abstrakte Gefahrenlage ausreicht. Vorliegend war das Leben der F konkret gefährdet und nur durch eine Kombination aus Glück und Zufall konnte sie gerettet werden, sodass der Streitentscheid dahinstehen kann. M hat durch seine Tathandlung auf das Qualifikationsmerkmal nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB verwirklicht.

3. Vorsatz
M müsste Vorsatz bezüglich des verwirklichten Grundtatbestands und der verwirklichten Qualifikationen gehabt haben. Hinsichtlich des Grundtatbestandes wurde der Vorsatz bereits festgestellt. Zudem verwendete M den Spieß mit Wissen und Wollen und gefährdete auch vorsätzlich das Leben seiner Frau. Der erforderliche Vorsatz ist insgesamt gegeben.

II. Rechtswidrigkeit und Schuld

M müsste wiederum rechtswidrig und schuldhaft gehandelt haben. Rechtfertigungs- und Schuldausschließungsgründe sind nicht ersichtlich. Rechtswidrigkeit und Schuld sind gegeben.

III. Ergebnis

M hat sich auch wegen gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, 5 StGB strafbar gemacht.

E. Konkurrenzen, Endergebnis

Die einfache Körperverletzung wird von der gefährlichen Körperverletzung konsumiert. Die gefährliche Körperverletzung bleibt aus Klarstellungsgründen neben dem versuchten Totschlag stehen. Demgemäß hat sich M wegen versuchten Totschlags gem. §§ 212 Abs. 1, 22, 23 Abs.1 StGB in Tateinheit (§ 52 StGB) mit gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, 5 StGB strafbar gemacht.


Das erstinstanzlich zuständige Landgericht Bielefeld hat den Angeklagten mit Urteil vom 22.04.2014 wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 211 Abs.1, 22, 23 Abs.1, 223 Abs.1, 224 Abs.1 Nr. 2 Alt. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit Beschluss vom 06.11.2014 hat der BGH dieses Urteil aufgehoben und die Sache an das Landgericht zurück verwiesen. Der Beschluss findet große Beachtung, weil er bei entsprechender Anwendung leichte Exkulpationsmöglichkeiten bietet. Nachdem die bisherige Rechtsprechung Tötungsvorsatz bereits im Zeitpunkt des In-die-Falle-lockens unterstellte, würde es nach diesem Beschluss ausreichen sich darauf zu berufen, dass der Tötungsentschluss erst kurzfristig in der konkreten Situation gefasst wurde, um einer Bestrafung wegen Mordes – ob versucht oder vollendet – zu entgehen, da es sodann am Mordmerkmal der Heimtücke fehlt. Somit scheint jedenfalls im ersten Examen eine gegenläufige Auffassung und Annahme des Mordmerkmals – gerade mit rechtspolitischen Argumenten – gut vertretbar zu sein.

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