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Die Anhebung des Ehemündigkeitsalters in Deutschland

Das Problem, dem sich der Gesetzgeber eigentlich annehmen will, ist der Zuzug verheirateter minderjähriger Flüchtlinge. Nach Zahlen des Ausländerzentralregisters waren im Juli 2016 rund 1475 verheiratete minderjährige Ausländer registriert.
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Die Anhebung des Ehemündigkeitsalters in Deutschland

Die Anhebung des Ehemündigkeitsalters in Deutschland

von Eva Schick

I. Ziel des Gesetzentwurfs der Bundesregierung

Am 2.6.2017 hat der Bundestag erneut den Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Kinderehen beschlossen1. Eine wesentliche Neuerung durch den Gesetzentwurf ist unter anderem die Streichung des § 1303 Abs. 2 BGB und damit die Heraufsetzung des Ehemündigkeitsalters auf 18 Jahre. Das Mindestalter für Eheschließungen ist zukünftig also identisch mit dem der unbeschränkten Geschäftsfähigkeit, Ausnahmen durch familiengerichtliche Befreiung sind nicht mehr möglich. Begründet wird dies auch damit, international würde die „Möglichkeit, die Ehe vor Volljährigkeit zu schließen, zunehmend eingeschränkt“2. Leider werden hierfür keine Beispiele angeführt.

Stellt man die Frage nach der Notwendigkeit einer solchen Neuregelung, ist zunächst auffällig, dass in Deutschland im Jahr 2015 nur noch 92 Minderjährige Gebrauch von der Ausnahmeregelung des § 1303 Abs. 2 BGB gemacht haben3, 2012 waren es 1304 und in 2000 noch 10735. Die Ausnahmeregelung scheint damit nahezu bedeutungslos. Der Gesetzgeber zieht daraus den Schluss, dass dadurch nun „Gestaltungsspielraum“6 gegeben sei. Die Gegenfrage dazu lautet, ob sich das Thema nicht von selbst erledigt hat.

1 Süddeutsche.de vom 2.6.2017, 07:39 Uhr: Bundestag beschließt Aus für Kinderehen (abrufbar unter: http://www.sueddeutsche.de/politik/heirat-von-minderjaehrigen-bundestag-beschliesst-aus-fuer-kinderehen-1.3532003)

2 BT-Drs. 18/12377, S. 1.

3 BR-Drs. 275/17, S. 12.

4 Wellenhofer, MüKo BGB, 7. Aufl. 2017, § 1303 BGB Rn. 1.

5 Tagesschau.de vom 03.11.2016 08:49 Uhr: Zahlen des Statistischen Bundesamtes: Weniger Kinderehen in Deutschland (abrufbar unter: https://www.tagesschau.de/inland/kinderehen-statistik-101.html)

6 BR-Drs. 275/17, S. 12.

Das Problem, dem sich der Gesetzgeber eigentlich annehmen will, ist der Zuzug verheirateter minderjähriger Flüchtlinge1. Nach Zahlen des Ausländerzentralregisters waren im Juli 2016 rund 1475 verheiratete minderjährige Ausländer registriert2.

Zu beachten bleibt hier jedoch, dass diese verheirateten Minderjährigen die Ehe nicht in Deutschland und somit nicht unter Anwendung des § 1303 Abs. 2 BGB geschlossen haben. Selbst wenn Flüchtlinge nun in Deutschland die Ehe schließen wollten, käme § 1303 Abs. 2 BGB nicht zur Anwendung – nach Art. 13 Abs. 1 EGBGB findet auf die Eheschließung das Recht des Staates Anwendung, dem die Verlobten jeweils angehören.

Das Problem, dass nun zu einer Streichung des § 1303 Abs. 2 BGB führt, lässt sich nur über einen Umweg erkennen. Wird eine nach ausländischem Recht geschlossene Ehe in Deutschland einer Prüfung am deutschen ordre public (Art. 6 EGBGB) unterzogen, werden wesentliche Grundsätze der deutschen Rechtsordnung herangezogen. Im Zuge dessen findet § 1303 Abs. 2 BGB als absolute Untergrenze für Eheschließungen in Deutschland Beachtung. Will man verhindern, dass ausländische Minderjährigenehen in Deutschland anerkannt werden müssen, muss der Gesetzgeber dafür Sorge tragen, dass eine solche Eheschließung in Deutschland unter keinen Umständen möglich gewesen wäre. Und auch wenn § 1303 Abs. 2 BGB nahezu keine Anwendung mehr findet, eröffnet er dennoch die Möglichkeit einer Heirat ab 16 Jahren. Dies muss der Gesetzgeber also aufgrund der Auswirkungen auf das deutsche internationale Privatrecht verhindern.

II. Bisherige Regelung – Historie

Um den Zweck der Ausnahmeregelung des § 1303 Abs. 2 BGB zu verstehen, lohnt ein Blick auf die Entstehungsgeschichte der Norm.

Bis 1974 lagen für Männer sowohl Volljährigkeits- als auch Ehemündigkeitsalter bei 21 Jahren. Frauen wurden zwar auch erst mit 21 volljährig, durften aber bereits mit 16 Jahren heiraten. Die Reform senkte das Volljährigkeitsalter für beide Geschlechter auf 18 Jahre, das Ehemündigkeitsalter wurde ebenfalls auf 18 Jahre festgesetzt3. Allerdings wurde weiterhin Bedarf gesehen, Ehen bereits ab einem Alter von 16 Jahren zuzulassen. Auch wenn die Formulierung des § 1303 Abs. 2 BGB – damals noch § 1 Abs. 2 EheG – schlussendlich geschlechterneutral war, war dies im Regierungsentwurf noch anders vorgesehen. Hier sollte der zweite Absatz ausdrücklich nur Frauen von dem Erfordernis der Volljährigkeit ausnehmen4.

1 BR-Drs. 275/17, S. 1.

2 Antwort der Bundesregierung auf die Anfrage der Abgeordneten Katja Dörner, Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drs. 18/9595, S. 20 f., Antwort auf Frage 29.

3 Gesetz zur Neuregelung des Volljährigkeitsalters, 31.7.1974, BGBl 1974 I, 1713.

4 BT-Drs. 7/117, S. 3.

Begründet wurde dies damit, es bestünde „offenbar ein gesellschaftliches Bedürfnis […], Frauen auch schon vor Vollendung des achtzehnten Lebensjahres die Möglichkeit der Eheschließung zu eröffnen“1. Als Beleg dafür wurde Statistiken über die Heirat minderjähriger Mädchen sowie über Schwangerschaften von Frauen zwischen 16 und 18 Jahren angeführt. Der hauptsächliche Grund für die Schaffung der Ausnahmeregelung des § 1 Abs. 2 EheG lag jedoch in der Überzeugung des Gesetzgebers „bei dem derzeitigen gesellschaftlichen Bewußtsein [würde] weithin erwartet, daß ein Mädchen unter achtzehn Jahren mit Rücksicht auf eine bestehende Schwangerschaft möglichst bald die Ehe schließt und dadurch die eheliche Geburt des zu erwartenden Kindes ermöglicht“2.

Die familiengerichtliche Rechtsprechung hat mittlerweile andere und differenziertere Kriterien für die Erteilung einer Befreiung vom Volljährigkeitserfordernis entwickelt. Eine Schwangerschaft der Verlobten ist kein allein ausreichender Grund mehr für eine frühzeitige Eheschließung3 – vor allem, da nichteheliche Kinder heute ehelichen rechtlich gleichgestellt sind4.

III. § 1303 II BGB als Ausprägung der Eheschließungsfreiheit?

Auch wenn § 1303 Abs. 2 BGB historisch eher aus einer vermeintlichen Not geboren und heute eigentlich entbehrlich ist, ist die Streichung nur auf bedingte Begeisterung gestoßen. Unabhängig von der gesamten Reform zur Bekämpfung von Kinderehen, die durchweg auf Ablehnung gestoßen ist5, sind die Meinungen zur Heraufsetzung des Ehemündigkeitsalters gespalten.

Teils wird die Streichung des zweiten Absatzes mit dem Rest der Reform konsequent abgelehnt6, teils wird in dieser Hinsicht angeführt, die Regelung sei veraltet und eine Streichung sei daher wünschenswert7.

1 BT-Drs. 7/117, S. 11.

2 BT-Drs. 7/117, S. 11.

3 Wellenhofer, MüKo BGB, 7. Aufl. 2017, § 1303 BGB Rn. 9.

4 Antomo, NZFam 2016, 1155 (1156).

5 Vgl. die Stellungnahmen des Deutschen Anwaltvereins (DAV), des Deutschen Juristinnenbundes (DJB), des deutschen Familiengerichtstages (DFGT), Deutscher Notarverein (DNotV) und teilweise auch Stellungnahme des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMR); allesamt abrufbar unter: http://www.famrz.de/aktuelles/pressemitteilungen/2017/02/pm-gesetzentwurf-zur-bekaempfung-von-kinderehen.php und http://www.jura.uni-koeln.de/sites/ipr/user_upload/Gesetzesentwurf_Kinderehen_2017-4-5-1.pdf.

6 Beispielsweise Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins durch den Ausschuss Familienrecht, Stellungnahme Nr.:12/2017, abrufbar unter: http://www.famrz.de/downloads/Dokumente/2.Stellungnahme-DAV-Nr.12-2017-Kinderehe.pdf.

7 Antomo, NZFam 2016, 1155 (1156, 1161).

Zu beachten bleibt, dass § 1303 Abs. 2 BGB als Ausweitung der Regelung des Ehemündigkeitsalters auch eine Ausprägung der Eheschließungsfreiheit nach Art. 6 Abs. 1 GG ist.

Art. 6 GG schützt die Ehe als eine auf Dauer angelegte, auf freiem Entschluss beruhende, gleichberechtigte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau, deren Übereinstimmung durch staatlichen Mitwirkungsakt festgestellt wird1 und deren persönlicher Schutzbereich auch nach ausländischem Recht geschlossene Ehen erfasst2.

Besonders zu beachten sind in Hinblick auf § 1303 Abs. 2 BGB die Merkmale des „freien Entschlusses“ und der „gleichberechtigten Lebensgemeinschaft“. Diese Elemente dienen dazu, Zwangsehen vom grundrechtlichen Schutz auszunehmen. Gerade bei Ehen, die im Ausland geschlossen wurden, ist es nur schwer nachprüfbar, ob sie wirklich auf freiem Entschluss beruhen oder vielmehr die Wünsche der Eltern vorrangig berücksichtigt wurden. Eheschließungen nach deutschem Recht jedoch unterliegen in dieser Hinsicht einer eingehenden Prüfung des Familiengerichts. Für diese Fälle sind solcherlei Gefahren erheblich reduziert – zudem ist es im Befreiungsverfahren möglich, dass der gesetzliche Vertreter Widerspruch einlegt, § 1303 Abs. 3 BGB.

In seiner Gesamtabwägung muss das Familiengericht das Wohl des Minderjährigen in den Vordergrund rücken, die Ehe darf dem Wohl des Minderjährigen nicht entgegenstehen, muss es aber nicht fördern3. Berücksichtigt man dies, ist die Wertung erkennbar, dass Eheschließungen Minderjähriger zwar zugelassen werden, der Gesetzgeber aber im Auge hat, dass eine solche Ehe dem Wohl des Minderjährigen kaum förderlich sein kann.

Daraus folgt also, dass die Dispensregelung des § 1303 Abs. 2 BGB aus Gründen der Eheschließungsfreiheit nicht zwingend geboten ist4. Ob sie – wenn sie aus rein deutscher Sicht ohnehin nahezu bedeutungslos ist – aber gestrichen werden sollte, ist fraglich. Was dagegen sprechen soll, den wenigen Jugendlichen, die davon Gebrauch machen, den „Spaß“ zu lassen wird vom Gesetzgeber zudem nicht angeführt. Die hohe Scheidungsrate von früh geschlossenen Ehen steht schnell im Vordergrund, angesichts der detaillierten familiengerichtlichen Prüfung und vor allem der sogenannten „Bestandsprognose“5 kann man sich jedoch fragen, ob bei Eheschließungen Minderjähriger tatsächlich so gravierende Schnellschüsse möglich sind. Viel wahrscheinlicher wäre also eine überstürzte, unüberlegte Eheschließung kurz nach Erreichen der Volljährigkeit.

1 BVerfGE 105, 313 (345).

2 Windthorst, in: StudK GG, Art. 6 GG Rn. 22; BVerfGE 13, 290 (297,298).

3 Wellenhofer, MüKo BGB, 7. Aufl. 2017, § 1303 BGB Rn. 6 (Fn. 14).

4 So auch Antomo, NZFam 2016, 1155 (1156).

5 Hahn, Beck-OK BGB, 42. Edition, §1303 BGB, Rn. 6, Stand: 01.02.2017.

Da also auch die Streichung nicht zwingend geboten ist, bleibt als letzte offene Frage, inwiefern es zu verantworten ist, eine, wie sich aus Art. 13 EGBGB ergibt, in ihrem Anwendungsbereich nur Deutsche betreffende Norm zu streichen, um eine als Problem aufgefasste Situation zu bewältigen, auf die diese Norm nur sekundäre Auswirkungen hat.

Widersprüchlich erscheint, dass hierdurch nur für Deutsche die Eheschließungsfreiheit eingeschränkt wird. Ausländische Staatsbürger sind erst über einen Zusatz zu Art. 13 EGBGB erfasst. In diesem Fall wäre wünschenswert und unter Berücksichtigung der Wesentlichkeitstheorie auch erforderlich gewesen, dass der Gesetzgeber die Streichung als Einschränkung der Eheschließungsfreiheit auch in Bezug auf die primär betroffene Personengruppe rechtfertigt.

Im Kontext der gesamten Reform nimmt der deutsche Gesetzgeber mit der Anhebung des Ehemündigkeitsalters einmal mehr die Rolle eines Moralapostels ein. Ein vermeintlicher und vor allem plötzlich entdeckter „Missstand“ im deutschen Recht wird bereinigt – nicht, weil die Norm an sich ein Problem ist, sondern weil man zu einem damit verbundenem Position beziehen möchte.


Die Autorin: Eva Schick studiert Rechtswissenschaften an der Universität zu Köln. Sie ist 20 Jahre alt. Den Beitrag „Die Anhebung des Ehemündigkeitsalters in Deutschland“ hat Sie im Rahmen des 1. Iurratio-Schreibwettbewerbs im Sommer 2017 eingereicht. Ihr Text schaffte es auf den 1. Platz!

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