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Das LG Berlin hält die sog. „Mietpreisbremse“ für verfassungswidrig

Das Berliner Landgericht beschäftigte sich aufgrund des Rechtsstreits einer Mieterin und Vermieterin einer Wohnung mit der Verfassungsgemäßheit des § 556 d BGB. Nach Kündigung des Mietverhältnisses verlangte die Mieterin die Rückzahlung der nach ihrer Ansicht überhöht gezahlten Miete.
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Das LG Berlin hält die sog. „Mietpreisbremse“ für verfassungswidrig

I. Sachverhalt

Das Berliner Landgericht beschäftigte sich aufgrund des Rechtsstreits einer Mieterin und Vermieterin einer Wohnung mit der Verfassungsgemäßheit des § 556 d BGB. Nach Kündigung des Mietverhältnisses verlangte die Mieterin die Rückzahlung der nach ihrer Ansicht überhöht gezahlten Miete.

Die Vermieterin habe gegen die gesetzlichen Vorschriften zur Mietpreisbegrenzung entsprechend §§ 556 d ff. BGB und die Mietbegrenzungsverordnung Berlin verstoßen. Nach diesen Vorschriften darf die zulässige Miete bei Neuvermietungen in einem Gebiet mit angespannten Wohnungsmarkt nur 10 % über der ortsüblichen Miete liegen.

II. Entscheidung

Das Amtsgericht Wedding sprach der Klägerin einen Rückzahlungsanspruch des Differenzbetrages für sieben Monate zu.

Allerdings begehrte die Klägerin die Zahlung von sechs weiteren ihrer Meinung nach überhöht gezahlten Mietbeträgen.

Diesbezüglich wies das AG jedoch die Klage ab. Gem. § 556 g Abs. 2 S. 1 BGB sind Ansprüche, die auf einen Verstoß gegen die §§ 556 d und 556 e BGB gestützt sind, vor Ausspruch und Zugang einer qualifizierten Rüge des Mieters gegenüber dem Vermieter ausgeschlossen.[1]

Eine qualifizierte Rüge enthält gem. § 556 g Abs. 2 S. 2 BGB alle Tatsachen auf denen die Beanstandung der vereinbarten Miete beruht. Der Mieter habe die Pflicht, in seiner Rüge die Zulässigkeit der Miete zu überprüfen und sich mit den preisbildenen Faktoren auseinanderzusetzen.[2]

Daher könne sie nur ein Anspruch auf die Zahlung der Mieten nach Zugang der hinreichend konkreten Rüge haben.

Dagegen legte die Mieterin Berufung ein, woraufhin sich das LG Berlin mit diesem Rechtsstreit auseinandersetzte. Unbeschadet der Verfassungsgemäßheit der §§ 556 d ff. BGB schloss die Kammer ebenfalls die Rückzahlung der Monatsmieten vor Zugang der Rüge aus.

III. Äußerungen des LG Berlin zur Verfassungsgemäßheit des § 556 d BGB[3]

Die Zivilkammer 67 des LG Berlin merkt in dem Hinweisbeschluss vom 14.09.17 an, dass das Verfahren gem. Art. 100 Abs. 1 GG auszusetzen ist, da § 556 d BGB und die daraus resultierenden Länderverordnungen verfassungswidrig seien.

1. Verstoß gegen die Gesetzgebungskompetenz und Art. 80 Abs. 1 GG

Die Landesregierungen werden gem. § 556 d Abs. 2 BGB ermächtigt, durch eine Landesverordnung Gebiete mit angespanntem Wohnungsmarkt für eine Dauer von fünf Jahren zu bestimmen. Die Voraussetzungen an die Verordnungen lassen sich aus dem gleichen Abschnitt entnehmen.

Das LG Berlin ist der Auffassung, dass der Bundesgesetzgeber durch Einführung des § 556 d BGB seine bundesstaatliche Kompetenzverteilung unterlaufen habe, indem er den Landesregierungen vollständige politische Entscheidungsfreiheiten eingeräumt habe. Die Delegation der Gesetzgebungsmacht des Bundesgesetzgebers auf die Landesexekutive sei formell verfassungswidrig.

Den Ländern werde durch § 556 d BGB eine vollständige Entscheidungsfreiheit zum Verordnungserlass eingeräumt und den Bestimmtheitsanforderungen des Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG sei nicht genügend Rechnung getragen.

2. Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG

Des Weiteren ist das LG Berlin der Überzeugung, dass § 556 d BGB gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verstößt.

Art. 3 Abs. 1GG enthält das Verbot der Ungleichbehandlung ohne sachlichen Grund. Der Gleichheitssatz ist verletzt, wenn wesentlich Gleiches ungleich und wesentlich Ungleiches gleich behandelt wird.

Nach Ausführungen des LG Berlin bestehe eine Ungleichbehandlung der Vermieter im Bundesgebiet, da unter Missachtung des grundrechtlich gewährten Gleichheitssatzes in die Vertragsfreiheit der Mietvertragsparteien eingegriffen werde.

Die Vermieter aus einem nach § 556 d Abs. 2 BGB bestimmten Gebiet mit einer vergleichsweise niedrigeren ortsüblichen Miete seien wirtschaftlich mehr belastet als Vermieter mit einer vergleichsweisen hohen.

Begründet wird die Verletzung des Gleichheitssatzes mit einer ungleichen bundesweiten Belastung der Vermieter, da sich die zulässige Neu- oder Wiedervermietungsmiete zwischen den Großstädten stark unterscheide. Die Mietpreisbremse gem. § 556 d Abs. 1 BGB begrenzt die zulässige Neu- und Wiedervermietungsmiete auf 110 % der ortsüblichen Vergleichsmiete.

Eine Neuvermietung in einem Gebiet mit bundesweit vergleichsweise geringeren Mietpreisen, hat eine niedrigere Mietobergrenze als Gebiete, deren Vergleichsmiete bereits höher angelegt ist.

Als Beispiel werden die Städte Berlin und München genannt, bei denen sich der zulässige Mietzins um mehr als 70% unterscheide. Daraus ergibt sich nach Ansicht des LG eine wesentliche Ungleichbehandlung der Vermieter im Bundesgebiet be Neu- und Wiedervermietungen.

Der Eingriff in das Grundrecht sei zudem auch nicht sachlich rechtfertigt. Weder der Gesetzeszweck, noch sonstige Sachgründe oder Vorteile würden die Ungleichbehandlung rechtfertigen. Insbesondere habe der Gesetzgeber im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens die einkommensbezogenen Sozialdaten von Mietern in den zu erfassenden Gebieten nicht eingeholt.

Es bestehe keine Grundlage dafür, dass einkommensschwächere Haushalte und Durchschnittsverdiener in höherpreisigen Mietmärkten besser gestellt seien als solche in Gebieten mit niedrigeren Mietpreisen.

Außerdem liege ebenfalls eine ungleiche Begünstigung durch § 556 e BGB und somit eine Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vor. Der Vermieter, der bereits bei der Vormiete die Mietobergrenze überschritten habe, ist von der Mietpreisbremse ausgeschlossen. Damit privilegiere das Gesetz die Vermieter, die ohnehin schon mehr als 10 % der ortsüblichen Miete verlangt haben, ohne sachlichen Grund.

3. Keine Prüfung durch das BVerfG

  1. Keine Prüfung durch das BVerfG

In dieser Rechtssache wird das BVerfG nun nicht mehr über die Verfassungsgemäßheit entscheiden müssen, da sich durch weiteres Vortragen der Parteien in der mündlichen Verhandlung ergeben hat, dass der Mieterin durch gesonderte Umstände kein Rückzahlungsanspruch der vor der Rüge gezahlten Miete besteht.[4]

Nun stellt sich die Frage, wie das BVerfG darüber entschieden hätte.

III. Prüfung der Verfassungsmäßigkeit

1. Gesetzgebungskompetenz

Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes ergibt sich im Bereich des bürgerlichen Rechts aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG.

2. Abtretung von politischen Kompetenzen

Landesregierungen können gem. Art. 80 Abs. 1 S. 1 GG durch ein Gesetz zum Erlass von Verordnungen ermächtigt werden. Der Bundesgesetzgeber handelte somit innerhalb seiner Kompetenzen.

Nach Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG müssen Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung im Gesetz bestimmt sein.

Liest man § 556 d BGB sind Inhalt, Zweck und Ausmaß erkennbar.

Inhaltlich dürfen Rechtsverordnungen erlassen werden, die Gebiete mit angespannten Wohnungsmärkten bezeichnen. Die Gebiete, die unter diesen Begriff zu subsumieren sind, lässt sich aus § 556 d Abs. 2 S. 3 Nr. 1- 4 BGB entnehmen. Des Weiteren legt § 556 d Abs. 2 BGB fest, dass die Rechtsverordnung eine Begründung enthalten muss, deren Inhalt sich ebenfalls aus dem Gesetz entnehmen lässt.

In der Begründung müssen Maßnahmen der Landesregierung enthalten sein, die in dem bestimmten Gebiet Abhilfe schaffen sollen. Zusätzlich legt das Gesetz fest, dass die Landesverordnungen spätestens am 31.12.2020 in Kraft treten.

Der Zweck der Ermächtigung liegt darin, dass sich die Landesregierungen mit der ausreichenden Versorgung der Bevölkerung mit Mietwohnungen zu angemessenen Bedingungen beschäftigt und dagegen etwas unternimmt.

Das Ausmaß der Verordnungen ist gem. § 556 d Abs. 2 BGB auf die Bestimmung der Gebiete für die Dauer von fünf Jahren beschränkt.

Es erscheint fraglich, wie ein Verstoß gegen Art. 80 Abs. 1 S. 2 GG begründet werden kann. Das LG äußert sich dazu nicht weiter.

Den Landesregierungen wird die Ermächtigung zur Festlegung eines Gebietes gegeben, das innerhalb ihres Hoheitsgebietes liegt und diese demnach sachnäher sind als der Bund. Der deutsche Bundestag qualifiziert die Ermächtigung als „Mittel zu Dämpfung des Mietanstieges bei einer lokal angespannten Marktsituation um so den Prozess der ’Gentrifizierung’, insbesondere der innerstädtischen Lage zu verlangsamen, wobei mildere Mittel nicht zur Verfügung stehen“.[5]

Den Landesregierungen wird ein sozialpolitischer Beurteilungs- und Einschätzungsspielraum und keine vollständige Entscheidungsfreiheit zugestanden. Nach dieser Einschätzung ergibt sich keine Kompetenzunterlaufung.

3. Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG

Ob die sogenannte „Mietpreisbremse“ tatsächlich gegen den Gleichheitssatz gem. Art. 3 Abs. I verstößt, würde in dieser Prüfung allerdings den Rahmen sprengen. Dass sich auch die Rechtsprechung bei der Frage nach der Verfassungswidrigkeit der §§ 556 d ff. BGB uneinig sind, zeigen die folgenden Beispiele differenzierter Rechtsprechung.

IV. Differenzierte Rechtsprechung

Erfolglose Verfassungsbeschwerde

Bereits kurz nach in Kraft treten der Norm erging eine Verfassungsbeschwerde beim BVerfG, die allerdings nicht zur Entscheidung angenommen wurde, weil der Rechtsweg nicht erschöpft war.[6]

AG Frankfurt am Main

Das AG Frankfurt am Main stellte in einem ähnlichen Rechtsstreit[7] am 20.09.17 fest, dass § 556 d BGB weder formell noch materiell verfassungswidrig ist und weder gegen Art. 3 Abs. 1 GG, noch gegen Art. 14 GG verstoße. Laut dem AG Frankfurt verfolge die Norm einen legitimen Zweck, nämlich die Miethöhe in den gefährdeten Gebieten zu regulieren und der direkten oder indirekten Verdrängung wirtschaftlich weniger leistungsfähiger Bevölkerungsgruppen entgegenzuwirken.

Die Regelung sei nach Einschätzung des AG Frankfurt geeignet und verhältnismäßig. Die Datenerhebung der Mieter, welche die hessische Landesregierung vor Erlass der Verordnung durchführte, reichte als Grundlage für die hessische Mietbegrenzungsverordnung. Die fehlende Einholung der Sozialdaten durch den Bundesgesetzgeber würde somit ausreichend durch Tätigwerden der Länder ersetzt.

Amtsgericht Neukölln

Das AG Neukölln hielt die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage des § 556 d Abs. 2 BGB ebenfalls für verfassungskonform.[8]

Landgericht Berlin

In einer anderen Rechtssache entschied das LG Berlin, dass keine Verfassungswidrigkeit des § 556 d Abs. 2 BGB vorliegt.[9] Das LG Berlin führte in dieser Entscheidung aus, dass zwar ein Eingriff in das Eigentumsrecht des Art. 14 Abs. 2 GG vorliegt, die Regelung jedoch in verfassungsrechtlich zulässiger Weise dessen Inhalt und Schranken bestimmt.

V. Fazit

Die unterschiedliche Bewertung der Gerichte zeigt, dass es einige Unsicherheiten bei der Rechtsanwendung gibt. Solange das Bundesverfassungsgericht nicht darüber entschieden hat,  sind die §§ 556 d ff. BGB und die daraus erlassenen Landesverordnungen anzuwenden.

 

 

Die Frage nach der Verfassungswidrigkeit und der somit einhergehenden Streichung der Mietpreisbremse erscheint zudem einige politische Ziele zu verfolgen und wird dementsprechende politische Konsequenzen nach sich zu ziehen. Außerdem sei abschließend anzumerken, dass die Einführung des § 556 d BGB nicht zu den enormen Mietpreisunterschieden innerhalb der Bundesrepublik führte und das eigentliche Ziel, der Beschaffung von bezahlbarem Wohnraum, nicht außer Acht gelassen werden sollte. Sollte das BVerfG über die Verfassungsgemäßheit entscheiden, so kann die Rechtssprechung zumindest nicht mehr ungleiche Entscheidungen innerhalb des Bundes treffen.

[1] LG Berlin Hinweisbeschluss vom 14.09.2017- 67S 149/17 und AG Wedding 3C 110/ 16.

[2] LG Berlin Hinweisbeschluss v. 14.09.2017- 67S 149/17.

[3] LG Berlin Hinweisbeschluss v. 14.09.2017- 67S 149/17.

[4] Pressmitteilung des Kammergerichts Berlin vom 19.09.17 – PM 55/17.

[5] Vgl. BT- Drucks 18/3121 S. 19.

[6] BVerfG, Beschluss v. 24.06.2015- 1 BvR 1360/15.

[7] AG Frankfurt am Main, Urteil 33 C 3490/16 vom 20.09.2017

[8] AG Neukölln, Urteil vom 08.09.2016 – 11 C 414/15.

[9] LG Berlin, Urteil vom 29.03.2017 – 65 S 424/16.

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